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Prof. Dr. Verena Kuni  M. A.

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(Un)Totenkleider. Ob und wie der Tod in der Gesellschaft angekommen ist: Überlegungen zur Repräsentation des Übergangs in der visuellen Kultur der Gegenwart

Vortrag | Lecture
im Rahmen der Tagung "Totenkleidung", Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, 14.-16.06.2008

Deutschland, im Oktober 2007. Die Bildunterschrift bekundet, dass "der Tod endlich in der Gesellschaft angekommen ist". Das Foto zeigt einen Säugling im Strampelanzug – der uns freilich quicklebendig entgegenstrahlt. Er trägt ein Halloween-Kostüm, wie es in dieser Zeit auf zahlreichen Partys begegnet: Auf den schwarzen Stoff ist ein weisses Skelett aufgemalt.
Wenige Seiten weiter, im selben Magazin: Eine junge Frau, zu deren sportlichem Auftreten die leuchtend bunte Tasche an ihrem Arm bestens passt. Weniger passend scheint dagegen ihr Aussehen: Die Kleider hängen ihr in Fetzen vom Leib, der grünliche Schimmer auf ihrer bleichen Haut wirkt alles andere als gesund. Der Claim der Anzeige – "Build to resist" – bringt die Auflösung: Das Model stellt eine (Un)Tote vor, es geht um die Haltbarkeit ihres Accessoires.
Und schließlich sind da noch die Menschen, die sich vor einer Glastür versammelt haben, gegen die sie nun heftig hämmern, weil sie Einlass begehren. Von denen drinnen wird er ihnen nicht gewährt. Obwohl zwischen diesen und jenen rein äußerlich auf den ersten Blick kaum ein Unterschied zu erkennen ist, geht es hier um eine existenzielle Frage: Weil nämlich, so will es die Narration des Spielfilms, mit den Menschen vor der Glastür der Tod tatsächlich in der Gesellschaft angekommen ist.

Keine Selbstverständlichkeit, sondern ein Horror – der in letzterem Fall genau dadurch entscheidend gesteigert wird, dass die (Un)Toten nicht mehr so eindeutig als solche markiert und erkennbar sind, wie es jene Tradition gebieten würde, in der die Werbeanzeige des Taschenherstellers noch steht. Zerfetzte Tücher, die ebenso wie verfärbte Haut und teils von den Knochen hängendes Fleisch vom bereits begonnenen Prozess des Zerfalls und der Verwesung zeugen: Das entspricht einer Ikonographie des Todes, die sich kultur- und kunsthistorisch lange zurück verfolgen lässt und die in der zeitgenössischen Bildwelt vorzugsweise aufgerufen wird, wenn wir es mit jenen zu tun bekommen, die als "Zombies" oder (Un)Tote zwischen Tod und Leben wandern.

Allerdings können (Un)Tote auch ungleich attraktiver gewandet begegnen: Dann nämlich, wenn ihre Kleider und Körper einer anderen Art der Auflösung unterstehen, die wenigstens die Konturen integer belässt. In diesem Fall handelt es sich um eine Immaterialisierung, in deren Zuge alle Stofflichkeit schwindet, zur Transparenz bzw. Unsichtbarkeit tendiert. Solche (Un)Tote sind nicht weniger irreversibel aus dem Leben und von den Lebenden geschieden als die "Zombies", allein die Transformation und ihre Konditionen sind signifikant anders konfiguriert.
Auch diese Variation der Imagination von (Un)toten blickt auf eine lange ikonographische Tradition zurück – und in der visuellen Kultur der Gegenwart sind ihre geisterhaften Erscheinungen kaum weniger präsent als diejenigen der mit Fetzen behangenen, verfallenden Leiber, wenn es um die Repräsentation jenes Übergangs geht, den in seinen tatsächlichen Dimensionen zu denken für den Menschen aus guten Gründen zu den Schwierigsten zählt.
So gesehen, scheint sich über Jahrhunderte nur wenig geändert zu haben: Beide Variationen zeugen je auf ihre Weise von einem Tod, der in der Gesellschaft schon immer angekommen ist und doch ebenso wenig "ankommen darf", wie man sich als Mitglied einer Gemeinschaft der Lebenden vom Leben verabschieden will.

Oder gibt es wohlmöglich doch feine Unterschiede zu entdecken, die dann auch auf ein verändertes Verhältnis der Gesellschaft zum Tod schliessen bzw. dieses näher bestimmen liessen? Sind die werbewirksam eingesetzten Zombies ebenso wie die zahlreichen (Un)Toten, die durch die Vorabendserien und Spielfilm(-Wiederholungen) der TV-Kanäle spuken, lediglich Wiedergänger einer kulturellen Konstante oder weisen sie in ihrer Erscheinung neben einem "neuen" medialen Gewand auch weitere Zeichen einer Wandlung auf? Falls ja: Wie stehen sie als Materialisierungen einer Vorstellung vom Übergang im Zusammenhang mit dessen Virtualisierung im Zuge verschiedener Ausformungen einer digitalen Kultur, die den Lebenden unter anderem auch ein "Second Life" verspricht? Und welche Position nehmen in diesem Kontext die Künste ein?

Diese und weitere Fragen möchte der Beitrag anhand ausgewählter Repräsentationen "(Un)toter" aus Populärkultur und Kunst diskutieren. Ausgehend von den "(Un)totenkleidern", ihrer Verortung in einer ikonographischen Tradition und deren Variationen in der visuellen Kultur der Gegenwart sollen einerseits charakteristische Invarianten bestimmt, andererseits aber allfälligen Transformationen nachgespürt werden, um auf dieser Basis weiterführende Überlegungen zu ihrer Bedeutung als Konstruktionen in einem Spannungsfeld von Materialität und Virtualität vorzunehmen, das sich zugleich eines zwischen Finalität und Mutabilität, zwischen Utopie und Dystopie erweist. Nicht zuletzt wird dabei ein Augenmerk auf jene feinen Unterschiede zu werfen sein, die auch in diesem Zusammenhang nur vorgeblich nicht (mehr) bestehen.

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